May you live in interesting Times

58. Internationale Kunstausstellung, la Biennale di Venezia/ Von Marianne Hoffmann


 

Links: Impression der La Biennale di Venezia (Foto:  Andrea Avezzù, Courtesy La Biennale di Venezia)

Rechts: Apichatpong Weerasethakul and Tsuyoshi Hisakado, „Synchronicity”, 2018, Einkanal-Video, Ton, Licht, Projektor, Mikrofon, Aluminium, Maße variabel, 14 min 12 sec (loop), Installationsansicht Mori Art Museum, Tokyo (© Apichatpong Weerasethakul + Tsuyoshi Hisakado, Courtesy of Scai the Bathhouse and Ota Fine Arts)


Der Titel der 58. Internationalen Kunstausstellung ist ein [vermeintlich] chinesischer Fluch, der sich auf Zeiten von Unsicherheit, Krise und Aufruhr bezieht - „interessante Zeiten“, genau wie die, in denen wir heute leben. 

Der Ausstellungsmacher Ralph Rugoff kuratiert die diesjährige Kunst-Biennale von Venedig. Der gebürtige New Yorker ist seit elf Jahren Direktor der Hayward Gallery in London, des renommierten Museums für zeitgenössische Kunst. Die  Ernennung des 60jährigen bestätige das Ziel, „die Ausstellung zum Platz der Begegnung zwischen Besuchern, Kunst und Künstlern“ zu machen, erklärte der Präsident der Biennale, Paolo Baratta. Da kommt das Motto „May you live in interesting Times“ dem Kunstmacher gerade recht. Rugoff versucht in seinen Shows regelmäßig den Besucher einzubinden – wie in seiner Londoner Ausstellung „Psycho Buildings“. Zu seinem Konzept äußert er sich unter anderem so: „In einer Zeit, in der die digitale Verbreitung gefälschter Meldungen und ‚alternativer Fakten‘ den politischen Diskurs und das Vertrauen, von dem dieser abhängt, zersetzt, sollten wir innehalten, wann immer dies möglich ist, um unsere Aufgabenstellung zu überdenken“. Die 58. Internationale Kunstausstellung hat sich der  allgemeinen Herangehensweise an das Machen von Kunst und einem Blick auf die soziale Funktion von Kunst, die sowohl Freude als auch kritisches Denken umfasst, verschrieben. Kunstschaffende, die auf diese Weise denken, bieten Alternativen zur Bedeutung der so genannten Fakten, indem sie andere Wege der Verbindung und Kontextualisierung vorschlagen. 79 noch lebende und aktiv tätige Künstler hat der Kurator für das Arsenale und den Hauptpavillon auf dem Biennale-Gelände ausgewählt. Einer von ihnen ist der 1940 geborene Jimmy Durham, der in diesem Jahr den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk erhält. Bei derBiennale 2017 war es der deutsche Künstler Franz Erhard Walther, Jahrgang 1939, ein Jahr älter als Durham, der für seine besondere Kunst eine wahrhaft späte Würdigung mit dem Goldenen Löwen erhielt. Goldene und silberne Löwen werden erst seit 1986 auf der Kunstbiennale von Venedig verliehen, übernommen von der Kinobiennale, wo es die Löwen schon seit 1949 gibt. 

Im April 1895 eröffnete die erste Internationale Kunstausstellung, die  Biennale von Venedig war geboren. Sie ist ein Publikumsrenner, startete gleich mit einem ersten Skandal. Sie  zieht prominente Kunstkäufer an und steht am Anfang einer nunmehr 120jährigen Geschichte, die trotz vieler Nachahmer unübertroffen ist. In der Gazetta ufficiale von 1895 ist zu lesen: „Am Dienstagmorgen, den 30. April 1895, treffen König Umberto I. und seine Königin Margherita in den öffentlichen Gärten Venedigs ein, den Giardini pubblici. Es ist 10:10 Uhr“, so vermeldet der Hofberichterstatter der Gazzetta ufficiale mit bemerkenswerter Genauigkeit. „Das Wetter ist schön“, schreibt er. Meteorologen verzeichnen für diesen Tag bedeckten Himmel über Venedig bei einer Höchsttemperatur von doch etwas schattigen 

16 Grad. Egal, wenn das Königspaar vor Ort ist, ist das Wetter schön. 

Knappe 20 Minuten braucht es für die notwendigen Reden zur Eröffnung der ersten Biennale von Venedig. Bildungsminister Guido Baccelli erklärt schließlich, im Namen des Königs, die  „Esposizione Internazionale d’Arte della Città di Venezia“ für eröffnet. Um 10:30 Uhr beginnt das Königspaar und sein Gefolge mit der Besichtigung. Den ersten Skandal in der Geschichte der Biennale löste ein Bild aus, über das sich die Königin nicht beruhigen konnte. Es war ein Gemälde des Turiner Künstlers Giacomo Grosso (1860-1938) . Das Werk „Il supremo convegno“, von 1895, zeigt eine Gruppe nackter Mädchen bei der orgiastischen Schändung eines Totenbetts im sakralen Raum, eine Nonne begehrt im Hintergrund Einlass zur Feier. Die Verbindung von Sex und Tod und Blasphemie könnte auch 120 Jahre später noch einige Erregung erzeugen. Als im Vorfeld der Esposizione die Presse über dieses Skandalbild berichtet, sieht sich der Kardinal-Patriarch von Venedig, Giuseppe Sarto, der spätere Papst Pius X.,

veranlasst, gegen die Zurschaustellung des Gemäldes zu protestieren – jedoch ohne Erfolg, denn die Biennale hatte das, was man sich für eine erste Show wünscht: einen handfesten Skandal und dadurch zahlreiche Besucher, die allein wegen des Bildes kamen. 

Als die erste internationale Biennale stattfand, befand sich Venedig im Umbruch. So fügte  sich diese Kunstshow, damals auch noch Verkaufsshow, hervorragend in das Reformprogramm ein und führte zugleich ältere Stadtentwicklungskonzepte weiter fort. Stätten der Industrialisierung werden in der Peripherie angesiedelt, gerne auf dem Festland in Mestre. Die Altstadt Venedigs soll verstärkt für den Tourismus erschlossen werden. Zur Kunstausstellung wirbt man mit einem unterhaltenden Beiprogramm, das Venedigreisenden zu Zeiten der Biennale u.a. Regatten, Sportwettkämpfe, darunter ein internationales Fechtturnier, Lichtspiele, Feuerwerke, Konzerte, große Theateraufführungen und „andere außergewöhnliche Festivitäten“ verspricht. Das Herz der Gründungsbiennale schlug also für den Rummel, das Großereignis, die Provokation und die Massen. Bis heute finden großartige Beiprogramme in Venedig statt, sie beziehen sich allerdings auf die Kunst, und fast jeder Palazzo, jede Kirche, jeder noch so ungewöhnlich Ausstellungsort ist heiß begehrt und wird bespielt. So hat 2017 Egill Sæbjörnsson „Out of Control“ gezeigt, kuratiert von der Deutschen Kunsthallenchefin Stefanie Böttcher im Spazio Punch auf der Giudecca. Kaum zu finden, doch  als Geheimtipp gehandelt, denn jeder wollte die Trolle des Künstlers hautnah erleben. Und auch in diesem Jahr wird es wieder spannende Ausstellungsorte neben der Biennale in Venedig geben, bespielt von prominenten deutschen Künstlern, Johannes Bus und Ottmar Hörl in der Biblioteca Marciana am Markusplaz und der Mainzer Künstlerin Lore Bert in der Chiesa San Samuele, neben dem Palazzo Grassi.  Ralph Rugoff, der diesjährige Kurator der Biennale, sagte in einem Interview: „Ich bin regelmäßig in Berlin und Düsseldorf. Warum ist deutsche Kunst so stark? Einige Länder wie Frankreich und Italien werden von ihrem kulturellen Erbe regelrecht erdrückt, in Deutschland gab es hingegen nach dem Krieg eine andere Öffnung gegenüber dem Neuen und ein Wille, die Vergangenheit zu vergessen.“ 


Links: Anselm Kiefer, „Frauen der Antike, Erinnye – Cornelia“, 2004/2006 (© Kunstmuseum Walter)

Rechts: Xianwei Zhu, „Rückkehr zu den Wurzeln II“, 2018, Acryl auf Leinwand, 119 x 119 cm (© Xianwei Zhu)


Auch in der Städtischen Galerie in der Badstube wird ein herausragender Künstler präsentiert: Xianwei Zhu. Seine Malerei ist dem Atmosphärisch-Landschaftlichen in expressiver Manier verpflichtet. Seine Stimmungsbilder mit ihrer fluiden Wiedergabe von Licht, Luft, Wasser und Himmel assoziieren die melancholischen Weiten eines Caspar David Friedrich, in die es sich endlos schauen lässt. Xianwei Zhu geht es um die Malerei per se, mittels derer er magische poetische Welten erschafft. Schnell ist klar, dass hier jemand am Werk ist, zwei unterschiedliche Kulturen – chinesische Tuschemalerei und deutsche Romantik – zu verschmelzen. Doch so, dass sie erkennbar bleiben und ihre Wurzeln offen liegen. Xianwei Zhu spricht von einer Multiperspektive und meint die verschiedenen Blickachsen, die in die Tiefe und in die Höhe führen. Die Schnittstellen zwischen Tradition und Moderne bilden. Mit Blick auf die Stadt Wangen und die Verleihung des 14. Franz-Joseph-Spiegler-Preises auf Schloß Mochental, den der Künstler gewann, und auch vor dem Hintergrund, dass die Allgäustadt 1691 zum Geburtsort des späteren Hauptmeisters der schwäbischen Barockmalerei Franz Joseph Spiegler wurde, wurde die Schau kreiert. Xianwei Zhu, 1971 in Qingdao geboren, hat von 1989 bis 1996 ein Studium der Kunsterziehung an der Hochschule Shangdong und ein Postgraduiertenstudium der Malerei an der Kunstakademie in China in Hangzhou absolviert. Von 2003 bis 2008 studierte er Freie Malerei an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart bei Prof. Cordula Güdemann. Heute lebt er als freier Künstler in Stuttgart und Beijing. Seine Ausstellung in der Städtischen Galerie in der Badstube ist noch bis Juni zu sehen. 

www.wangen.de

 

Einen besonderen Querschnitt des Werks von Anselm Karl Albert Kiefer zeigt bis zum 19. Mai die renommierte Augsburger Galerie Noah. Kiefer zählt zu den bekanntesten und erfolgreichsten deutschen Künstlern nach dem Zweiten Weltkrieg. Seine Werke wurden auf den bedeutendsten internationalen Kunstausstellungen und in vielen Museen Europas, Japans und der Vereinigten Staaten von Amerika ausgestellt. Er wurde mit zahlreichen Ehrungen ausgezeichnet. Die museale Sonderausstellung des Kunstmuseums Walter mit circa 15 Objekten querbeet und aus persönlichen Beständen des Malers zieht nun in den benachbarten Kuppelsaal der Galerie Noah. Anselm Kiefer beteiligt sich selbst am Konzept.

www.galerienoah.com

 

Gemeinsam mit anderen namhaften Künstlergrößen ist Anselm Kiefer vom 12. April bis zum 11. August in einer weiteren Ausstellung im süddeutschen Raum zu sehen: „Die jungen Jahre der alten Meister“ in der Staatsgalerie Stuttgart ehrt das Frühwerk von Baselitz, Polke, Richter und eben von Kiefer. Insgesamt 112 frühe Hauptwerke werden die spektakulären 1960er-Jahre in den Fokus nehmen. In diesem kreativen und produktiven Zeitraum haben alle vier Künstler die Grundlagen für ihren Erfolg gelegt, der sie in Deutschland wie auch im Ausland zu den bedeutendsten Vertretern der zeitgenössischen Kunstszene machte. Das internationale Interesse an dem Gütezeichen „Made in Germany“, das gepaart mit einer enormen Nachfrage bis heute unvermindert anhält, versteht sich keineswegs von selbst, denn die Kunst deutscher Herkunft stand im Laufe ihrer Entwicklung meist im Schatten italienischer, niederländischer oder französischer Vorbilder. Dieses Schattendasein auf dem europäischen Kunstparkett verkehrte sich geradezu in sein Gegenteil, als sich das Künstlerquartett aus Deutschland anschickte an die Spitze des globalen Rankings aufzusteigen. Abgesehen von Sigmar Polke, der 2010 verstorben ist, unterstützen Baselitz, Richter und Kiefer mit singulären Leihgaben aus ihrem Besitz die Ausstellung. Die intensive Auseinandersetzung der vier Künstler mit ihrer Zeit und deren unmittelbaren Vergangenheit wird in der Schau durch ein Zeitpanorama der politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Ereignisse – vom Wirtschaftswunder und dem geforderten Wohlstand für alle, bis zu den Studentenunruhen und der außerparlamentarischen Opposition ergänzt.

www.staatsgalerie.de

 

In München wird im Sommer, genauer gesagt vom 24. Juli bis 8. September, im Künstlerhaus Muc Joan Mirós Werk im Fokus stehen. Die Ausstellung enthält zum großen Teil Farbgrafiken zu Dichterwerken bekannter Zeitgenossen Mirós. Die Surrealisten brachten Miró mit der Poesie in Verbindung, woraufhin er bemerkte: „Die Dichter, denen mich Masson vorstellte, haben mich mehr interessiert als die Maler, die ich in Paris traf.“ Besonders in seiner zweiten Lebenshälfte, nach seiner Auszeichnung mit dem „Großen Internationalen Grafik-Preis“ auf der XXVII. Biennale in Venedig 1954, traten grafische Arbeiten zu Dichterwerken seiner zahlreichen Freunde immer weiter in das Spektrum seines Lebenswerks. 1948 entdeckte der Künstler in der berühmten Pariser Werkstatt der Brüder Mourlot die vielseitigen gestalterischen Möglichkeiten der Farblithografie. Die überwiegend von der Mitte der 1950er-Jahre bis zum Tod des Künstlers daraus entstandenen Werke und deren Ausstellungen in den Kunstmetropolen der Welt brachten ihm besonders durch dieses Medium Anerkennung. Der Steindruck erlangte einen ganz besonderen Stellenwert im Werk des Künstlers und wurde zu seiner bevorzugten Technik. In der Lithografie fand Miró eine Kunstform, die für ihn Spontanität, Intuition und Ausdruckskraft vereinte.

Aus ebendiesem Zeitraum stammen die meisten der im Münchner Künstlerhaus gezeigten Werke. Die Ausstellung „Charme und Poesie der Farben“ präsentiert 90 handsignierte Einzelblätter aus den Lithografie-Serien Mirós, vornehmlich die Illustrationen zu Gedichten, sowie 15 historische Plakate.

 

www.kuenstlerhaus-muc.de