Das Museum lebt

Der erstmals veranstaltete Deutsche Museumskongress – Eine Kooperation von Verleger Manfred Möller, Der Kunsthandel Verlag und der Koelnmesse / Von Heiko Klaas & Nicole Büsing


 

Links: Petra Gerster („heute“ / ZDF) moderierte den Deutschen Museumskongress

Recchts: Zu den hochkarätigen Rednern beim Deutschen Museumskongress zählte auch Dr. Frank Matthias Kammel, 

Generaldirektor am Bayerischen Nationalmuseum München und weiterer neun Museen mit einem Vortrag zum 

Thema „Nachhaltigkeit im Museum: Bewahren“


Parallel zu den Messen Exponatec und Cologne Fine Art fand jetzt auf dem Kölner Messegelände erstmals der Deutsche Museumskongress statt. Kompetent moderiert von Petra Gerster („heute“-Nachrichten, ZDF), referierten hochkarätige Experten und Expertinnen über die Herausforderungen und Chancen der Museen im Digitalzeitalter.

Ein paar nüchterne Zahlen gefällig? Laut Statistik gibt es in Deutschland knapp 6.800 Museen mit über 114 Millionen Besuchern pro Jahr. Den größten Anteil machen mit 43,4 % die lokalen, historischen und Industriemuseen aus. Nur rund 10% der Museen widmen sich der Kunst. Auch die Naturkundemuseen stellen mit 4,7 % nur einen relativ geringen Anteil. Doch eines scheint klar zu sein: „Museen werden immer wichtiger“, sagt Professor Volker Mosbrugger, Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung in Frankfurt am Main, der eine Sammlung mit über 400 Millionen Objekten an drei Standorten betreut und rund 850 Mitarbeitern vorsteht. Was sind die Herausforderungen der Museen in der heutigen Zeit? Stellt die zunehmende Digitalisierung die Häuser vor ganz neue Fragestellungen? Wie kann man ein junges Publikum in Museen locken, die so unterschiedliche Schätze wie barockes Porzellan, erklärungsbedürftige Gegenwartskunst, seltene Fossilien oder heimatkundliche Exponate aufbewahren, erforschen und ausstellen?

Am 20. November fand in Köln die erste Ausgabe des Deutschen Museumskongress statt. Veranstaltet wurde die auch für ein interessiertes Publikum öffentlich zugängliche Tagung von der Koelnmesse und Manfred Möller, dem Verleger von Der Kunsthandel. Manfred Möller übernahm auch die Funktion des Direktors der Veranstaltung. Der Kongress mit sechs renommierten Referenten aus dem Museumsbereich fand im Rahmen der Internationalen Fachmesse für Museen, Konservierung und Kulturerbe „Exponatec“ auf dem Kölner Messegelände statt. Parallel dazu eröffnete auch die Messe Cologne Fine Art. Knapp 150 Teilnehmer fanden den Weg in den Offenbachsaal im Congress-Centrum, darunter auch eine Abordnung aus dem Pariser Musée du Louvre. Souverän moderiert von der aus der „heute“-Sendung im ZDF bekannten Ankerfrau Petra Gerster, sprachen Experten aus den Bereichen Museum, Marketing und Öffentlichkeitsarbeit, Auktionshaus und Kulturverwaltung über Themen wie Nachhaltigkeit im Museum, Digitalisierung als neue Herausforderung oder den innovativen Umgang mit der Zielgruppe der unter 40-Jährigen.

Eine vor Esprit geradezu sprühende Eröffnungsrede hielt Dr. Frank Matthias Kammel, Generaldirektor am Bayerischen Nationalmuseum München und weiterer neun Museen. Wie kann das Museum von heute nachhaltig werden? So lautete seine Ausgangsfrage, die er mit provokanten Zitaten aus einer historischen Museumsschelte des französischen Lyrikers und Essayisten Paul Valéry (1871-1945) einleitete. Valéry beklagte in seinem Aufsatz mit dem Titel „Pièces sur l’art“ das „kalte Durcheinander“ der zusammenhanglos präsentierten Objekte. Er beschrieb das Museum als krude Mischung von “Tempel, Salon, Friedhof und Schulraum“. Geht es dem jungen Publikum, das heute beispielsweise als Schulklasse zum Museumsbesuch verpflichtet wird, nicht ähnlich, fragte Kammel. Immer wieder stelle er fest, dass junge Leute mit „verwundertem Unverständnis“ auf all die Objekte schauen, die so gar nichts mit ihrem Alltagsleben zu tun haben. Lohnt es sich also noch, zu sammeln und zu bewahren, wenn doch bald keiner mehr kommt? Vielleicht könnte man die Sammlung ja auch komplett digitalisieren, um die hohen Erhaltungskosten für die Originale einzusparen? Ketzerische Fragen, die Frank Matthias Kammel natürlich mit einem klaren Nein beantwortete. Stattdessen hielt er ein flammendes Plädoyer für die Aura des Originals. „Das Objekt ist die Primärquelle“, so Kammel. Und dafür auch ein junges Publikum zu begeistern, lohne sich allemal. Warum also nicht einem 16-jährigen Gymnasiasten das 600-teilige Tafelgeschirr des Fürstbischofs Friedrich Wilhelm von Westphalen (1727-1789) als Luxusgut der damaligen Zeit nahe bringen, indem man etwa Parallelen zu den Luxusgütern unserer Zeit wie Autos, Mode und Freizeit ziehe. Mechanismen der Distinktion und Inszenierung von Persönlichkeit habe es immer schon gegeben. Das Bewahrte könne als Schlüssel für die Lebenswirklichkeit von heute dienen. Frank Matthias Kammels Fazit lautete denn auch: „Nur wer seine eigene Kultur kennen- und erleben gelernt hat, kann sich und seine Gegenwart begreifen.“

Im Herbst 2017 wurde im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte Potsdam ein Innovationskonzept beschlossen, das den Standort attraktiv machen und das Land Brandenburg als Geschichtsraum und Kulturlandschaft entdecken soll. Direktor Dr. Kurt Winkler stellte in seinem Vortrag zunächst allgemeine Überlegungen zum Thema „Digitalisierung als Handlungsfeld“ an, um dann am konkreten Beispiel seines Hauses in Potsdam eine neue Form der Vergegenwärtigung von Geschichte zu erläutern. Ausgehend von der viel beachteten Studie „Das Kapital sind wir. Studie zur Kritik der digitalen Ökonomie“ des Physikers und Hochschullehrers Timo Daum, skizzierte Kurt Winkler den Übergang von einer zunächst von Landwirtschaft, Warenproduktion und Dienstleistungen geprägten Ökonomie in eine Wissens- und Informationsgesellschaft, in der Algorithmen und Daten profitorientiert verwertet werden. „Das exponatengestützte Museum verliert Marktanteil“, folgerte Kurt Winkler. „Wir stehen mitten im Prozess“.

Für sein Geschichtsmuseum hat er daher neue, digitale Strategien entwickelt, um das Haus zukunftstauglich zu machen. Dazu gehören von Studierenden der TU Berlin kreierte, szenische Räume, die Auflockerung der Dauerausstellung mit kurzen, von der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam-Babelsberg produzierten Videos, in denen historische Zeitzeugen zu Wort kommen, eine Geschichtslounge mit Partizipationsangeboten für die Besucher, und auch eine Art Labor, in dem Teams in Co-Working-Spaces ganz tief in das Thema Geschichte einsteigen können. „Wir sind an der Schnittstelle von digitalem und analogem Wissen“, analysierte Kurt Winkler. „Aufgabe des Museums ist das Sammeln, Redigieren und Edieren von Information.“ Die Balance zwischen kuratorischen Fragen und der Partizipation der Besucher zu halten, gehöre zu den neuen Aufgaben des Museums. 

Um Partizipation und eine neue Attraktivität des Museums für junge Besucher ging es auch in dem Vortrag von Jasmin Mickein. Mickein studierte Kunstgeschichte in München und Business Administration in Genf. Sie verfügt also über die idealen Voraussetzungen, um Kunst und Marketing miteinander in Beziehung zu setzen. An der Kunsthalle Bremen leitet sie die Abteilung für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und hat dort sozusagen als kuratorische Quereinsteigerin im vergangenen Jahr die viel beachtete Ausstellung „What is Love? Von Amor bis Tinder“ kuratiert. Die Tatsache, dass das Durchschnittsalter der Kunsthallenbesucher bei 55 Jahren lag und die Erstbesucherquote bei durchaus verbesserungsfähigen 22 %, veranlasste das Kunsthallenteam, ein von einer großen Medienkampagne begleitetes Experiment zu wagen. Kann es gelingen, mit einem in der Zielgruppe populären Thema wie Liebe, und einem knackigen Ausstellungskonzept ein signifikant jüngeres Publikum ins Haus zu locken? Mit „What is Love? Von Amor bis Tinder“ kreierte Mickein die erste Museumsschau, die dem Phänomen Online-Dating in der Kunst auf den Grund ging und Kunstwerke zu den Themen Erotik, Partnerschaft, Liebe und Schönheit aus ganz unterschiedlichen Epochen zeigte. Darüberhinaus bot die Ausstellung alles auf, was beim jüngeren Publikum Erfolg versprach: Wände in Rot und Pink, rote Samtsofas, Songtexte, die auf die Wand geplottet wurden, interdisziplinäre Wandtexte aus Philosophie, Soziologie und Biologie, partizipative Elemente, etwa in Form einer Kommentarwand, und ein buntes Rahmenprogramm inklusive Singleveranstaltungen. Als Unterstützer konnte tatsächlich auch die Mobile-Dating-App Tinder gewonnen werden. Das Fazit: Die Ausstellung stieß auf ein ungewöhnlich großes Medienecho. Medien von der „Gala“ über die „Tagesthemen“ bis hin zur britischen BBC berichteten. Die Ausstellung avancierte zum Stadtgespräch und wurde um drei Monate verlängert. Das Durchschnittsalter der Besucher sank zwischenzeitlich auf nur noch 37,6 Jahre, und die Erstbesucherquote schnellte auf 48 % hoch. Dennoch kam Jasmin Mickein am Ende ihres erfrischend gehaltenen Vortrags zu folgender Erkenntnis: „Man macht nicht alle Besucher damit glücklich.“ Das klassische Publikum der Kunsthalle habe leider mit Unverständnis auf das Experiment reagiert, und dem jungen Publikum sei die Schau nicht weit genug gegangen. Dennoch werde die Bremer Kunsthalle, bereichert um die Erkenntnisse aus diesem Experiment, in Zukunft weiter daran arbeiten, mit Hilfe zeitgemäßer Ausstellungskonzepte und digitaler Strategien ein jüngeres Publikum ins Haus zu locken. Die aktuelle Ausstellung „Ikonen. Was wir Menschen anbeten“ mit 60 Meisterwerken in 60 Räumen etwa greife einige erfolgreich erprobte Elemente aus „What is Love? Von Amor bis Tinder“ wieder auf.

 

 



Nach der Lunchbreak hatte Markus Eisenbeis, der Geschäftsführende Gesellschafter des 1959 von seiner Mutter Carola gegründeten, traditionsreichen Kölner Auktionshauses Van Ham seinen Auftritt. Eisenbeis war kurzfristig für einen anderen Redner eingesprungen. In seinem reich bebilderten Vortrag trat er dem weit verbreiteten Vorurteil entgegen, dass es dem Kunsthandel nur um die schnelle und lukrative Veräußerung hochpreisiger Werke gehe. Die Schnittstellen zwischen Museen und dem Kunsthandel, zu dem natürlich auch die Galerien gehören, seien sehr vielfältig, so Eisenbeis. So unterstütze der Kunsthandel die Museen bei der Beschaffung von Leihgaben, liefere Archiv- und Quellenmaterial, detailierte Biografien der Künstler, Ausstellungslisten, Werkverzeichnisse und vieles mehr. Nicht zuletzt unterstütze der Kunsthandel auch beim fachgemäßen Transport der Werke und leiste häufig finanzielle Unterstützung bei Publikationen. Eisenbeis gab den Zuhörern zudem Einblicke in die Tätigkeit von Van Ham Art Estate, einem Unternehmensbereich, der sich auf die Betreuung von ganzen Künstlernachlässen in enger Zusammenarbeit mit noch lebenden Künstlern oder deren Erben spezialisiert hat. Van Ham Art Estate kümmert sich neben der professionellen Lagerung auch um Inventarisierung, Digitalisierung und Restaurierung der Arbeiten. Ebenso steht aber auch die Kommunikation mit Wissenschaftlern, Ausstellungshäusern und Medien im Fokus. „Man muss Künstler und Werk am Leben halten“, so Markus Eisenbeis.

Der viel beachtete Vortrag von Professor Dr. Dr. h.c. Volker Mosbrugger, dem Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung mit Hauptsitz in Frankfurt am Main, trug die Überschrift „Museum im Wandel der Zeit“. Volker Mosbrugger betrachtet die Herausforderungen deutscher Museen vor dem Hintergrund des Wandels der Gesellschaft durch die Globalisierung, den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt und die großen Umweltkrisen. Um der allgegenwärtigen Überforderung zu begegnen, die eine Gefahr für die Demokratie und eine Auflösung der bürgerlichen Gesellschaft bedeute, seien Aufklärung, Zusammenhalt und Toleranz gefordert. So definiert er auch die neuen Aufgaben der Museen: Sie erhalten mehr gesellschaftliche und politische Relevanz und rufen zur Aufklärung, gerade auch in der außerschulischen Bildung, zur Inklusion und zur Partizipation auf. Gefragt seien eine Digitalisierung in allen Bereichen der Museen, mehr Sichtbarkeit der Recherche sowie eine Fokussierung auf so wichtige gesellschaftliche Themen wie Dekolonialisierung, Provenienzforschung und Nachhaltigkeit. Um dies zu erreichen, seien mehr Drittmittel sowie Aktivitäten im Fundraising erforderlich. Die aus einer Bürgergesellschaft in Frankfurt hervorgegangene, wissenschaftliche Senckenberg Gesellschaft mit sieben Instituten, vier Forschungsstationen und drei Museen ist mit einem jährlichen Budget von 62 Millionen Euro vergleichsweise gut aufgestellt. Volker Mosbrugger setzt zunehmend auf Ausstellungen mit „heißen“ Themen wie etwa „Planet 3.0. Klima.Leben.Zukunft“ (noch bis 3. Mai 2020), die er auch als Info-Plattform für Politiker versteht. Er plant einen Ausbau des Museums mit einem großen Erweiterungsbau, der dem Haus eine zusätzliche Fläche von 6.000 Quadratmetern bereitstellen soll.

Den Abschlussvortrag des Deutschen Museumskongresses hielt Professor 

Dr. Jürgen Wilhelm, der Vorsitzende des Landschaftsverbandes Rheinland (LVR). Er stellte die Arbeit des Verbandes vor, der im Rheinland zahlreiche Spezialmuseen vom Industriemuseum bis zu historischen Gedenkstätten unterstützt. Mit Spannung erwartet wird die Eröffnung des MiQua, des Jüdischen Museums im Archäologischen Quartier direkt in der Kölner Altstadt. Hier sollen in Zukunft Archäologie, Stadtgeschichte, Jüdisches Leben und Erinnerungskultur auf fortschrittliche Art und Weise aufeinandertreffen.

 

In seinem Abschlussstatement stellte Manfred Möller in Aussicht, diese Initiative fortzuführen. Mit mehr Referenten soll das Programm ausgedehnt und eventuell auch um Workshops ergänzt werden. Fazit: Das Museum lebt – es muss sich aber immer wieder neu erfinden, um seine gesellschaftliche Relevanz zu behaupten. An guten und innovativen Ideen, die Kulturtempel fit für die Zukunft zu machen, herrscht jedoch kein Mangel. Das stellte dieser erste Deutsche Museumskongress eindrucksvoll unter Beweis.