Neo Rauchs gelehrige Schüler

Junge Malerei aus Leipzig im Museum de Fundatie in Zwolle / Von Heiko Klaas & Nicole Büsing


Titus Schade, „Der große Kiosk“, 2018, Öl und Acryl auf Leinwand, 100 x 200 cm, Privatsammlung, Leipzig

(Abb.: courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin, Photo: Uwe Walter, Berlin © VG Bild-Kunst, Bonn 2019)


Is he from Leipzig?“. So lautet seit Anfang der 2000er Jahre eine beliebte Frage auf den großen Kunstmessen dieser Welt, allen voran der Art Basel. Was sich dahinter verbirgt, ist die enorme Wertschätzung gerade auch internationaler Kunstsammler für Bilder, deren Urheber an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst studiert haben. Die Ausbildung dort gilt als grundsolide. Die Hochschule sucht sich ihre zukünftigen Eleven offenbar genau aus. Und die Stadt bietet – ganz im Gegensatz zu Berlin – jungen Kunststudierenden immer noch genügend Möglichkeiten, für relativ wenig Geld Wohn- und Atelierräume anzumieten. Allein auf dem Gelände der weltberühmten Baumwollspinnerei gibt es rund 125 Ateliers und ein Dutzend Galerien. Die Notwendigkeit, hohe Lebenshaltungskosten mit Nebenjobs als Kellner oder Renovierungshelfer gegenfinanzieren zu müssen, entfällt weitgehend. Wer in Leipzig studiert, kann sich also mehr als anderswo auf die Verfeinerung seines malerischen Könnens konzentrieren.

Neo Rauch, sozusagen der Übervater des Leipziger Malerwunders, hat seine ortspezifische Prägung einmal so beschrieben: „Das Gegenständliche, das zeichnerisch Akzentuierte und ein historisch reich definiertes ideelles Weltbild – alles mit neuer Freiheit gehandhabt – sind meine Leipziger Wurzeln.“

Neo Rauch, seine Frau Rosa Loy, Matthias Weischer, Christoph Ruckhäberle, Tim Eitel oder Tilo Baumgärtel: Sie alle sind bereits weltberühmt und in zahlreichen privaten und institutionellen Sammlungen vertreten. Martin Kobe, Mirjam Völker, Robert Seidel und Titus Schade sind einem größeren Publikum vielleicht noch nicht so bekannt. Doch auch sie stehen sozusagen in den Startlöchern für den internationalen Durchbruch. Entdecken lassen sie sich jetzt in den Niederlanden.

Das Museum de Fundatie in Zwolle präsentiert jetzt die vier jüngeren Maler, die bei Neo Rauch und Arno Rink an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst studiert und deren Meisterklassen besucht haben. Sie sind dort in der Ausstellung „CRUX“ zu sehen, die ab dem 18. Januar 2020 läuft.

Nun klingt das Wort Crux oder Krux – vom Duden bevorzugt mit „K“ geschrieben – im Deutschen nicht gerade nach etwas besonders Erbaulichem. Die Krux an einer Sache, das ist der Haken, die Problematik oder gar der sprichwörtliche Pferdefuß. Im Niederländischen jedoch steht Crux für weitaus Positiveres. Der Begriff meint die Essenz, den Kernpunkt oder den Schlüsselmoment eines Phänomens. Gleichzeitig steht der Begriff in beiden Sprachen aber auch für das Sternbild „Kreuz des Südens“ und damit für einen Fixpunkt oder ein Orientierungszeichen. Und noch eine dritte Lesart schlagen die Ausstellungsmacher vor. Unter Crux verstehen sie auch die (Weg-)Kreuzung, an der sich die vier hier ausgestellten Künstler begegnet sind: der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig.

„Die große Leipziger Maltradition verbindet diese Künstler ebenso wie ihre Virtuosität und die Aufmerksamkeit, die sie Architektur und Landschaft widmen“, teilt das Museum im Pressetext zur Ausstellung mit. Und tatsächlich, was allen vier Positionen gemeinsam ist, ist ihr Faible für mitunter komplex verschachtelte Räume.

 


Links: Mirjam Völker, „Totem“, 2018, Acryl auf Leinwand, 210 x 180 cm (Abb.: courtesy Galerie EIGEN + ART, Leipzig/Berlin /

Foto: Freund Walter)

Mitte: Martin Kobe, „o.T.,“, 2010, Acryl auf Leinwand, 120 x 130 cm (Courtesy the artist)

Rechts: Robert Seidel, „Forum Romanum“, 2016, Eitempera auf Leinwand, 200 x 300 cm, Collection Köstlin, Berlin

(© Robert Seidel)


Der 1973 in Dresden geborene Arno Rink-Schüler Martin Kobe etwa schleust gefundene Architekturelemente von prominenten oder unbekannten Gebäuden, die er irgendwo entdeckt hat, spielerisch in seine Bilder ein. Indem er diese Elemente auf den Kopf stellt, dreht oder spiegelt, entstehen komplex verschachtelte, räumliche Gebilde, die mit real bewohnbaren Gebäuden nichts mehr zu tun haben. Statt im architektonischen Sinne zu konstruieren, seziert er die architektonische Formensprache der Moderne, um aus den disparaten Elementen etwas völlig Neues zu schaffen. Kobe nimmt voreiligen Fehlinterpretationen seiner intensiv farbigen und teils großformatigen Werke gleich den Wind aus den Segeln: „Weder interessiert mich das Klaustrophobische, das andere in meine Bilder projjizieren, noch irgendwelche Reisen in fremde Galaxien à la Raumschiff Enterprise. Die Malerei dient mir zur Erweiterung räumlicher Fantasien“, so der Maler in einem Interview.

Mirjam Völker, die 1977 in Wiesbaden geboren wurde und 2010 ihr Studium als Meisterschülerin von Neo Rauch beendet hat, malt hingegen in hyperrealistischer Art und Weise Hochsitze, prekäre Baumhäuser und andere wacklige Behausungen, wie man sie aus provisorischen Hüttendörfern von Protestbewegungen oder von Flüchtlingslagern her kennt. Zusammengesetzt sind sie aus Europaletten, Wellblech, Plexiglasplatten, Planen, Bambusstangen, ausgedienten Leitern, Brettern, Latten und vielen anderen an Treibgut oder Zivilisationsmüll erinnernden Fragmenten. Ist in diesen postapokalyptischen Architekturen jemand zuhause? Eher nicht. Alle Behausungen sind menschenleer. In ihrer Fragilität wirken sie, als wären sie bereits vor Jahren verlassen worden. Häufig werden sie von Schlingpflanzen, Ästen oder Baumwurzeln durchdrungen. Eine genaue geografische Zuordnung gestaltet sich als schwierig, gibt es doch auf diesen geheimnisvollen, zwischen Naturidyll und Albtraum changierenden Bildern Hinweise auf hiesige Gefilde ebenso wie auf exotische Orte.

Robert Seidel wurde 1983 im sächsischen Grimma geboren. Auch er war Meisterschüler von Neo Rauch. Sein besonderes Markenzeichen: Er malt seine Bilder in klassischer Eitempera-Technik. Das heißt, dass er, wie in der Renaissance üblich, das reine Pigment mit Eigelb mischt. Das Resultat sind eigentümlich matte, aber dennoch leuchtende Farben, die seinen Bildern eine markante Ausstrahlung und Präsenz verleihen. Robert Seidel begreift sich durchaus als Geschichtenerzähler. Und genau deshalb begegnen wir auf seinen Bildern auch Menschen und Tieren. Einer Schulklasse zum Beispiel, die, auf dem Parkettfußboden eines Museums sitzend, Pieter Breughels Bild „Die Heimkehr der Jäger“ abzeichnet, oder einer Blondine, die vor einem schnittigen Cabrio mit kalifornischem Kennzeichen posiert. Daneben Stadtansichten von Rom und Los Angeles oder ein Computerchip in Nahsicht. Was all seinen sehr unterschiedlichen Motiven gemein ist, ist die lakonische Präzision, mit der er sie in einem sachlich-schematischen Stil auf die Leinwand bringt.

Eines von Titus Schades Erkennungszeichen sind Fachwerkhäuser, wie man sie aus Modelleisenbahn-Landschaften kennt. Daneben ist der Neo Rauch-Schüler auch ein Meister dramatisch aufgeladener Wolkendarstellungen und nächtlicher Szenerien. Der jüngste der vier ausgestellten Künstler wurde 1984 in Leipzig geboren. Für ihn funktioniert die Leinwand wie eine Bühne, auf der er wiederkehrende Elemente miteinander in Bezug setzt und arrangiert. Er selbst beschreibt die Dynamik seiner dezidiert komponiert daherkommenden Bilder folgendermaßen: „Ich mag die Künstlichkeit in meinen Bildern, weil dann anders gemalte, ‘warme’ oder natürliche Stellen besser oder stärker hervorkommen. Einen Kontrast auf die Bühne zu legen, finde ich spannend. Die Leinwand ist dann wie ein Fenster, eine Kulisse, ein Film oder eine Art Videospiel aus der Ich-Perspektive.“

 

Kuratiert wurde die sehenswerte Schau von Ralph Keuning, dem Direktor des Museums de Fundatie, in enger Zusammenarbeit mit den Künstlern selbst und den beiden in Leipzig ansässigen Galerien EIGEN + ART und ASPN. Also auf nach Zwolle. Von Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen aus lohnt ein Besuch der malerischen Hansestadt allemal. Und ein Faible für Sachsen scheinen sie hier immer schon gehabt zu haben. Die Sassenpoort (Sachsentor), ein imposantes Stadttor aus dem Jahre 1409, steht sogar auf der Liste der 100 wertvollsten niederländischen Kulturdenkmäler.


CRUX – Gemälde von Martin Kobe, 

Mirjam Völker, Robert Seidel und Titus Schade

18.1. bis 5.5.20

Museum de Fundatie

Bleijmarkt 20

NL-8011 NE Zwolle

Di-So 11-17 h

www.museumdefundatie.nl

 

Parallel dazu läuft:

Annabel Oosteweeghel. Insomnia

18.1. bis 5.5.20